Ängste in der Corona-Krise

Ängste in der Corona-Krise

Diese Krise macht uns Angst. So viel Angst, dass sich die Situation für viele von uns schwer aushalten lässt. Wir reagieren mit Panik und Hamsterkäufen. Unsere Gedanken verlieren sich in vielen Schreckensszenarien oder wir reagieren mit Ignoranz.

Angst hat verschiedene Aspekte.

Grundsätzlich ist die Angst eines der wichtigsten Gefühle. Sie schützt und warnt uns vor realen Bedrohungen. Unser System wird aktiviert und stellt uns Energie zur Verfügung. Damit sind wir für Flucht oder Kampf gut gerüstet.

Jetzt gerade haben wir die Situation, dass viele von uns sich – noch – nicht in einer Situation der realen Bedrohung befinden. Viele von uns sind – noch – gesund und gut versorgt. Trotzdem empfinden wir Ängste. Sie beziehen sich auf Zukünftiges, auf Dinge, die sich weder vom Umfang noch Zeitablauf konkret fassen lassen. Wir haben Sorge um die eigene Gesundheit und die wirtschaftliche Existenz. Vielleicht richtet sich unsere Angst auch auf Gesundheit und Existenz der Menschen, die uns nahestehen.

Statt Flucht oder Kampf ist Abwarten und Ausharren gefragt. Da paart sich die Angst mit dem Gefühl von Ohnmacht und ausgeliefert sein oder vielleicht auch Wut und Empörung.    

Manchmal nimmt diese Angst vor Zukünftigem eine Dimension ein, die nicht hilfreich ist. Sie bedroht uns, sie lähmt oder blockiert jeden anderen Gedanken. Zu große Angst versperrt den Zugriff auf unsere Vernunft und unser Wissen.  

In diesem Zusammenhang möchte ich erläutern, wie Angst ausgelöst wird:

Dazu will ich unser Gehirn ganz vereinfacht erklären. Es besteht grundsätzlich aus drei Teilen:

Der älteste Teil, das Stammhirn, stammt noch aus den Zeiten, als der Säbelzahntiger der größte Feind des Menschen war. Er reagiert reflexartig – darauf haben wir mit unserem „Willen“ keinen Zugriff und verfügt nur über drei Handlungsmöglichkeiten:

Kampf, Flucht oder Totstellen, also die Funktionen, die zu Säbelzahntigers Zeiten das Überleben bestmöglich sicherten.    

Der mittlere Teil ist das Limbische System. Hier befinden sich die Emotionen, also Freude, Ärger, Trauer und auch die Angst. Und hier sitzt auch die Amygdala. Sie ist für unsere Sicherheit zuständig. Ihre Aufgabe ist, es, jederzeit zu prüfen, ob es hier gerade sicher ist. Sie greift dafür auf all das zurück, was wir erlebt und erfahren haben. Auch auf die Ereignisse, an die wir uns nicht mehr erinnern.  Dieser Vorgang der Prüfung läuft außerhalb unseres Bewusstseins ab.

Und es gibt den jüngsten Teil unseres Gehirns der für Denken und Planen zuständig ist, das Großhirn, ich nenne ihn einmal den Professor.

Im normalen Alltag sind der Professor und das Limbische System in gutem Kontakt und stimmen sich über Emotionen und Handlungen ab. In sicheren Situationen mischt sich das Stammhirn nicht ein.

 

Das Besondere der jetzigen Situation

All das, was passiert, ist für uns neu. Es gibt niemanden, der uns sagen kann, was wann in welchen Umfang passieren wird.

Für uns heißt das, dass der Amygdala für ihre ständige Prüfung so etwas wie „Referenzerfahrungen“ fehlen. Sie kann keine „Bewertung“ der Situation vornehmen. Im Interesse der Sicherheit meldet sie zumindest schon mal „Achtung! unbekannt“. Und dann hängt es von Genetik und von unseren Vorerfahrungen im Leben ab, ob sie bei „Achtung, unbekannt“ bleibt oder auf „Achtung, Unbekanntes ist gefährlich“ schaltet.  

 

Kommt sie an irgendeiner Stelle bei ihrer „Sicherheitsprüfung“ zu dem Schluss „gefährlich“, dann schaltet sich die Angst ein und das Stammhirn wird aktiv, das reflexartig mit einer seiner drei Handlungsmöglichkeiten reagieren möchte: Flucht, Kampf oder Totstellen. Die Verbindung zum Professor mit seinen „erwachsenen“ Handlungsmöglichkeiten wird gekappt, er wird nicht mehr angefragt.  

Wenn wir dann auch noch nur Ausharren und Abwarten sollen, wird das Aushalten schwierig.

Bewertung und Interpretation

Die Dimension des Angsterlebens hat immer etwas zu tun mit unserer Bewertung und Interpretation der Situation. In diese Gedanken fließen immer alle unsere Lebenserfahrungen ein, auch die, an die wir uns nicht erinnern.  Und diese Bewertung erfolgt im Regelfall im Unbewussten. Wir sind uns der Komponenten nicht bewusst. Und an der Stelle kommt auch unser Schattenkind ins Spiel.

Ein Beispiel aus der Säbelzahntigerzeit: Begegnet jemand einem Säbelzahntiger, der schon mehrfach einen Säbelzahntiger besiegt hat, so wird er weniger Angst empfinden, als jemand, der erlebt hat wie der Säbelzahntiger seinen Vater schwer verletzt hat.

Jemand der als Kind mit sechs Geschwistern aufgewachsen ist und gelernt hat sich gut durchzusetzen, wird Konflikte eher wenig beängstigend finden. Jemand der als Einzelkind groß geworden ist und Konflikte von zu Hause auch von den Eltern nicht kennt, für den kann ein Konflikt etwas Unbekanntes oder auch Ängstigendes sein. 

Auf so eine Weise beeinflussen unsere Lebenserfahrungen auch in der heutigen Situation unsere Bewertung der ohnehin schwierigen Lage und damit auch die Dimension der Ängste.

So kann es sein, dass für jemanden, der z.B. schon einmal eingesperrt war – sei es als Kind als Strafmaßnahme oder z.B. als Gefangener – die Tatsache, dass er nicht vor die Tür gehen soll, unglaublich schwer auszuhalten ist. Die Angst, das Ausgeliefertsein, die Ohnmacht von damals verbindet sich mit der heutigen Situation.

Für jemanden, der Mangel schon einmal erlebt hat, kann es vielleicht schwer sein, das richtige Maß bei den Vorräten zu halten. Auch generationsübertragene Themen können mitschwingen. Alte und neue Ängste vermischen sich.  

Wenn unser kindliches Bedürfnis nach Sicherheit und Bindung nicht gut erfüllt werden konnte, dann kann es sein, dass der Boden von Urvertrauen fehlt „es kann gut ausgehen“.  Dann kann das Aushalten von Ungewissheit und fehlender Kontrolle für uns noch schwerer sein als für andere.    

Wenn unser Bedürfnis nach Autonomie nicht erfüllt werden konnte, dann werden wir es vielleicht schwerer als andere haben, in dieser Situation mit der Beschränkung unserer Bewegungsfreiheit klar zu kommen.  

Was kann helfen im Umgang mit der Angst?

Wahrzunehmen, dass es verschiedene Faktoren geben kann, die unsere Angst beeinflussen und dass vielleicht nicht alle mit der heutigen Situation zu tun haben müssen. Vielleicht gelingt es die Situation von früher zu erfassen und mit dem Inneren Kind Kontakt aufzunehmen. Vielleicht gelingt es, ihm zuzusagen, es mit dem Inneren Erwachsenen, so gut wie es dem Inneren Erwachsenen möglich ist,  zu schützen. 

Bewusst versuchen die Gedanken zwischendurch ins „Hier und Jetzt“ zu lenken. Z.B. bei dem schönen Wetter alleine oder zu zweit einen Spaziergang zu machen und ganz bewusst anstelle der frei fließenden Gedanken wahrzunehmen, wo überall sich der Frühling zeigt. Als Hilfsmittel, damit die Gedanken nicht doch dauernd wieder abschweifen:

Die Anzahl der verschiedenen Blumen oder Bäume zählen oder das Handy mitnehmen und möglichst viele von den Anzeichen des Frühlings fotografieren.

Das ist wie eine Erholungspause für das Gehirn und verdrängt für die Zeit die Ängste und lässt auch dem Körper Zeit sich zu erholen.

Sich bewusst machen, dass die Unmengen von Informationen zu Corona und zur aktuellen Lage und all die Katastrophenmeldungen, mit denen wir gerade geflutet werden, immer und immer wieder im Unbewussten unsere Amygdala triggern. Immer und immer wieder sendet sie uns „Achtung, Unbekannt, Achtung kann gefährlich sein“. Das steigert die Angst und die Unruhe.

Keine Frage ist es wichtig, gut informiert zu sein. Aber genauso wichtig ist es, eine Pause einzulegen und bewusst das Lesen auf wichtige Informationen zu beschränken, das Radio oder Fernsehen bewusst auch auszuschalten, wenn eine Sondersendung zum Thema die nächste jagt.  

 

0 Points